Sport beeinflusst kognitive Funktionen positiv. Das ist seit längerem bekannt. Aktiv zu sein kann auch einer Demenz vorbeugen. Stellt sich nur die Frage: Warum? Wissenschaftler haben jetzt einen Mechanismus entdeckt, der erklären könnte, wie regelmäßige Bewegung dem kognitiven Abbau bei Alzheimer-Patienten entgegenwirkt und das Fortschreiten der Krankheit so verlangsamt.
Mögliche Verbindung zwischen Muskeln und Gehirn entdeckt
Die internationale Forschergruppe mit Mitgliedern aus Brasilien, den USA und Kanada fand heraus: Irisin, ein bestimmter Botenstoff, wird bei Bewegung durch die Spaltung des Transmembranproteins FNDC5 aus dem Muskel freigesetzt. So gelangt Irisin über den Blutkreislauf ins Gehirn. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass Alzheimer-Patienten erniedrigte FNDC5/Irisin-Spiegel im Hippocampus, der „Gedächtniszentrale“ im Gehirn, und in der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) aufweisen. Wurde die FNDC5/Irisin-Konzentration dagegen gesteigert, verbesserte sich zumindest bei Labortieren der Studie die synaptische Plastizität. „Darunter versteht man bestimmte Umbauprozesse, die zu Vernetzung von Hirnarealen und Nervenzellen führen und unter anderem wichtig für das Lernen und Erinnern sind“, wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Mitteilung erklärt. Professor Dr. Richard Dodel bewertet die Arbeit der Forscher für die DGN wie folgt: „Noch fehlt der Nachweis durch klinische Studien, aber der FNDC5/Irisin-Spiegel könnte ein physiologischer Link zwischen Muskeln und Gehirn sein.“ Viele Studien hätten bereits gezeigt, dass Sport die Gedächtnisleistung positiv beeinflusst und körperliche Aktivität wird daher zur Alzheimer-Prävention empfohlen. Der dahinterliegende Mechanismus war bislang aber unbekannt.
Sport verbesserte Gedächtnisleistung und Sprachkompetenz
Dass Sport die kognitive Leistung bei älteren Menschen verbessert, zeigte auch eine kürzlich veröffentlichte Interventionsstudie, die die DGN anführt. Daran nahmen 18 Menschen ohne kognitive Einschränkung und an 17 Menschen mit milder kognitiver Einschränkung, alle im Alter zwischen 61 und 88 Jahren, teil. Die Männer und Frauen trainierten über zwölf Wochen regelmäßig im gemäßigten Bereich. Zu Beginn und am Ende der Studie wurden sie unter anderem neuropsychologisch untersucht. Das Ergebnis: Der Sport hatte Gedächtnisleistung und Sprachkompetenz verbessert.
Bewegung kann Fortschreiten von Demenz verlangsamen
Noch eine Studie zum Thema, die die EU fördert. 250 ältere Menschen, die sich im Frühstadium der Erkrankung befanden und zuvor nicht aktiv waren, fingen an, Sport zu treiben. Das moderate Bewegungsprogramm wurde zuvor definiert und ging über 12 Monate. Erste Auswertungen kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen kann, wenn Patienten aktiv sind. Aber nicht nur das: Innerhalb eines Jahres verbesserten sich auch hier die kognitiven Leistungen der Teilnehmenden. In Deutschland fördert u.a. das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt DENKSPORT, das Teil dieses internationalen Forschungsverbund NEUROEXERCIS ist.
Fazit
„Diese und andere Ergebnisse belegen, dass eine beginnende Demenz durch körperliche Aktivität positiv beeinflusst werden kann“, so Professor Dodel. „Ob die Beeinflussung tatsächlich durch den FNDC5/Irisin-Mechanismus erfolgt oder welche anderen Botenstoffe und Signalwege beteiligt sind, lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen. Die positiven Effekte von Sport auf die kognitive Performanz sind aber insgesamt gut belegt, so dass wir jedem empfehlen, körperlich aktiv zu sein.“
Über Demenz
In Deutschland leiden nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie etwa 1,6 Mio. Menschen an einer Demenz. Bei der Mehrzahl der Betroffenen handelt es sich um eine Demenz in Folge einer Alzheimer-Erkrankung. Der Anteil der Bevölkerung, der im Alter zwischen 56 und 70 Jahren an Alzheimer erkrankt (= Prävalenz), wird mit 1 bis 5 Prozent angegeben. Die Prävalenz verdoppelt sich dann mit jedem weiteren Fünf-Jahresschritt, liegt also bei den 70-75-Jährigen bei bis zu zehn Prozent, bei den 75-80-Jahrigen bereits bei bis zu 20 Prozent usw. Die Demenz ist ein Syndrom, das die Lebensqualität stark beeinträchtigt: Es kommt zu Gedächtnisstörungen und zusätzlich auch zum Abbau anderer Hirnleistungen (z.B. Bewegungsstörungen, Sprachstörungen oder Sinneswahrnehmungsstörungen). Für viele Betroffene ist eine selbstständige Lebensführung nicht mehr möglich.
Risikofaktoren
Als Risikofaktoren der Alzheimer-Erkrankung gelten neben dem Alter Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettleibigkeit, erhöhte Blutfettwerte (Hyperlipidämie) und Bewegungsmangel. Aber auch Faktoren wie Depression oder soziale Isolation (Einsamkeit) spielen eine wichtige Rolle. Allein ein Drittel aller Erkrankungsfälle geht auf das Konto dieser beeinflussbaren Faktoren, so die DGN. Eine deutsche Untersuchung aus dem Jahr 2016 zeige, dass eine mangelnde körperliche Aktivität der bedeutsamste Risikofaktor ist und mit 21 Prozent den höchsten Einfluss auf die Alzheimer-Prävalenz hat.