Donnerstag, 21. November

Interview

„Versorgung mit Arzneimitteln wieder auf sichere Beine stellen“

©Teva Deutschland/Matthias Schmiedel

Ende vergangenen Jahres gab es einen Aufschrei in der deutschen Bevölkerung, weil viele Medikamente nicht oder nur mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen zu bekommen waren. Im Interview mit MEIN TAG erläutert Teva Deutschland- und Österreich-Geschäftsführer Andreas Burkhardt, wie es zu diesen Versorgungsengpässen kommen konnte und welche Voraussetzungen erforderlich sind, um sie in Zukunft zu vermeiden. Er sagt: „Wir müssen die Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln wieder auf sichere Beine stellen.“

Who is Who?

Andreas Burkhardt, 46, ist Geschäftsführer von Teva Deutschland und Österreich. Teva ist ein global agierender Konzern, zu dem seit 2010 auch Deutschlands bekannteste Arzneimittelmarke Ratiopharm gehört. Der Deutschlandsitz von Teva ist in Ulm. Ein weiterer Produktionsstandort befindet sich in Blaubeuren/Weiler. In Deutschland beschäftigt Teva rund 2.900 Mitarbeitende. 

Herr Burkhardt, seit vergangenem Jahr leiden Verbraucher, aber auch Apotheken, unter zum Teil massiven Lieferschwierigkeiten bei vielen Medikamenten. 

Wie konnte es zu diesen Versorgungsengpässen kommen?

Andreas Burkhardt: Verschiedene Aspekte spielen dabei eine Rolle. Das wird am Beispiel der Paracetamol-Fiebersäfte deutlich: Zum einen war die Nachfrage nach Fiebersäften im Jahr 2021 sehr niedrig, das lag an den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie und der dementsprechend niedrigen Zahl von Erkältungs- und Grippefällen. In der Folge wurde die Produktion entsprechend heruntergefahren, da die Säfte ja nicht unbegrenzt haltbar sind. Als die Corona-Auflagen 2022 dann wegfielen, gab es eine sehr große und lange Erkältungswelle. Die Nachfrage ist plötzlich wieder sehr stark gestiegen.  

Ein weiterer Grund ist, dass sich immer mehr Produzenten aus dem Markt zurückziehen, weil die Herstellung für sie ein Verlustgeschäft ist. Die Versorgung für den gesamten Markt müssen wir inzwischen nahezu allein stemmen. Wir wollen natürlich lieferfähig bleiben und produzieren unter Auslastung aller verfügbaren Kapazitäten, aber diese lassen sich weder schnell hochfahren noch beliebig steigern. Vom Einkauf der Rohstoffe bis zum fertigen Arzneimittel dauert es zudem im Schnitt sechs bis neun Monate.

Sie sagten, dass Anbieter die Produktion eingestellt haben, weil sie damit Verluste machten. Wie sieht es denn in dieser Hinsicht bei Ratiopharm aus? 

Auch für uns ist die Herstellung ein Verlustgeschäft. Unser Ziel und unsere Verantwortung als Vollversorger ist es aber, auch diese Medikamente herzustellen, denn unsere Patientinnen und Patienten benötigen sie ja. Unsere breite Produktpalette ermöglicht es uns, defizitäre Produkte in einem gewissen Rahmen quer zu finanzieren. Aber auch das wird zunehmend schwieriger. Wir stehen unter anderem im Wettbewerb mit asiatischen Anbietern, die sich auf die besonders profitablen Produkte fokussiert haben und entsprechend günstig produzieren können. Da mitzuhalten ist selbst für ein großes Unternehmen wie uns nicht einfach.  

Und bei anderen Medikamenten … 

Welche Gründe für die Lieferengpässe gibt es da?

Beim Brustkrebsmittel Tamoxifen etwa spielen die Zulieferer eine entscheidende Rolle. Auch hier sind aus wirtschaftlichen Gründen einige aus der Produktion ausgestiegen, so dass es nur noch wenige Anbieter gibt. Das erschwert die Situation für die Hersteller erheblich, da der Preisdruck in Deutschland besonders hoch ist. Grundsätzlich sind aber auch Lieferverzögerungen und globale Lieferketten-Problematiken ein wichtiger Faktor. Nicht nur bei unseren Wirkstoffherstellern, sondern auch bei Materialien wie Filtern oder Reinigungsmittel gibt es aktuell immer wieder Beschaffungsprobleme. Davon sind auch unsere Mitbewerber betroffen. Kommt es dort zu Engpässen und in der Folge zu einer erhöhten Nachfrage unserer Produkte, sind kurzfristige Produktionssteigerungen nicht umsetzbar, da vor allem die personellen Ressourcen begrenzt sind. 

Im Bereich der pharmazeutischen Produkte sind wir in Deutschland in hohem Maße von China und Indien abhängig – und das, obwohl wir ja eine starke chemische Industrie haben. Wie kam es zu dieser Dominanz?

Etwa 70 bis 80 Prozent aller Wirkstoffe in Deutschland kommen aus Asien. Bei Teva sind es rund die Hälfte. Chinesische Hersteller beispielsweise erhielten lange Subventionen und es gibt dort weniger Umweltauflagen. So können sie günstiger produzieren und die Preise entsprechend drücken.  

Die Schattenseiten dieser Abhängigkeit von China und Indien bekommen wir jetzt stark zu spüren. 

Richtig, deshalb setzen wir uns schon lange vehement dafür ein, die Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln wieder auf sichere Beine stellen. Dafür müssen sich die politischen Rahmenbedingungen ändern.

Was heißt das konkret?

Das System an sich ist nicht gesund. Die Regierung hat den Ernst der Lage endlich erkannt. Der kürzlich vorgelegte Gesetzentwurf zum Generikagesetz geht zwar in die richtige Richtung, aber es fehlt an Konsequenz und Entschlossenheit. In seiner jetzigen Form wird das Gesetz die Probleme nicht lösen. Auch wenn die Abschaffung der Festbeträge für Kinder-Arzneimittel ein wichtiger Hebel ist, um Anreize für die Produktion zu schaffen. Aber die Preisgestaltung für Unternehmen muss auf lange Sicht wirtschaftlich sinnvoll sein.

Wie könnte das aussehen?

Für mehr Versorgungssicherheit braucht es mehr Vielfalt im Markt. Deshalb sind langfristige Anreize notwendig, damit wieder mehr Hersteller in die Produktion einsteigen. Dazu gehört die Anpassung des Preissystems insgesamt. In unserem stark regulierten Generika-Markt darf der Preis nicht länger das entscheidende Kriterium sein. Auch Faktoren wie lokale Produktion, die Einhaltung von Umweltauflagen und Sozialstandards sollten eine Rolle spielen. 

Wie könnte die Produktion in Europa gestärkt werden?

Zum einen ist es wichtig, die bestehenden Produktionsstätten zu halten und zu stärken. 

Zum Beispiel durch Festlegungen, dass Medikamente, die für die Versorgung besonders relevant sind, im Inland hergestellt werden müssen. Die Regierung könnte zudem beim Aufbau von Produktionsstätten unterstützen, wie es in Österreich und Frankreich der Fall ist. Auch garantierte Abnahmemengen sind eine Möglichkeit.  

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