Die Studienergebnisse sind alarmierend: Jeder dritte Deutsche hat mehrmals pro Monat Rückenschmerzen, knapp die Hälfte mehrmals im Jahr. Schuld daran ist zumeist unser ungesunder Lebensstil. Ein Rückenleiden ist kein Schicksalsschlag, dem man wehrlos ausgeliefert ist. „Rücken-Papst“ Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer erklärt Rückenschmerzen-Ursachen, wie Sie vorbeugen und handeln können, wenn es Sie erwischt hat.
Herr Professor Grönemeyer, Rückenschmerzen haben sich zur Volkskrankheit entwickelt. Warum?
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Bei den meisten von uns liegt es am Lebensstil: Wir bewegen uns zu wenig, sitzen zu viel – beispielsweise im Büro – und dann auch noch oft falsch. Dadurch verspannen sich die Muskeln, die die Wirbelsäule stützen und einen Großteil des Gewichts abfedern, das auf der Wirbelsäule lastet. Etwa 80 Prozent aller Rückenschmerzen sind auf eine verspannte oder unzureichende Muskulatur zurückzuführen. Kommt noch Übergewicht dazu, ist der Rücken besonders gefährdet.
Nicht übersehen darf man aber auch den Zusammenhang mit der Psyche: Der Rücken muss alles „tragen“, so auch Stress und seelische Belastungen. Wer unter Dauerbelastung steht, zieht instinktiv die Schultern hoch. Das ist eine ganz natürliche, unbewusste Abwehrhaltung. Die gesamte Rückenmuskulatur und die Faszien spannen sich als Teil eines Verteidigungs- bzw. Fluchtreflexes an. Wird die Spannung nicht durch z.B. Bewegung und/oder Wärme oder Massagen gelöst, kann das richtig wehtun.
Weitere Schmerzursachen können eingeklemmte Nerven, verschobene Bandscheiben und einseitige Belastungen sein sowie Verrenkungen oder sogar Frakturen durch Unfälle. Verschleiß durch Arthrose der Wirbel- und Kreuzbeingelenke ist zu ca. zehn Prozent für die Schmerzen verantwortlich. Wesentlich ist aber auch der Zusammenhang mit der Psyche.
Wer hat ein besonderes Risiko?
Eigentlich wir alle. Und inzwischen stimmt es nicht mehr, dass Rückenschmerzen nur bei Erwachsenen auftreten. Denn leider ist eine Zunahme von Rückenschmerzen bei Kindern und auch mehr und mehr bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen festzustellen. Etwa 70 Prozent der zehn bis 17-Jährigen leidet darunter. Wie bereits gesagt: Viele sitzen zu viel, da spielt auch die Computerkultur eine Rolle, der Sportunterricht fällt aus, Kinder werden von den Eltern zur Schule und zu anderen Einrichtungen gefahren. Und erschreckenderweise klagt etwa 25 Prozent der Kinder – so die Ergebnisse einer von meiner Stiftung mit einem großen Schuhhersteller und dem wissenschaftlichen Institut Prognos durchgeführten Elefanten-Kindergesundheitsstudie – über chronischen negativen Stress. Gerade dieser führt zu Verspannungen und dann auch zu Rückenschmerzen.
In Ihrem neuen Buch „Mein großes Rückenbuch“ kritisieren Sie, dass viel zu oft und viel zu schnell operiert wird.
Rücken operiert wird. Wichtig ist, ich sage es nochmals: Bewegung, nochmals Bewegung, individuell dosiert. Zusätzlich können leichte Schmerzmittel, Wärmebehandlungen und Physiotherapie (Massagen) angezeigt sein. Je nach Diagnose ergibt sich ein individueller, multimodaler Therapieansatz. Die Heilungsmöglichkeiten reichen je nach Schweregrad und individueller Situation vom regelmäßigen Schwimmen über Massagen, Akupunktur, Osteopathie bis zur Psychotherapie. Andere Behandlungsmethoden wie die der ambulanten MikroTherapie – eine gezielte Behandlung unter Sicht des Computertomographen mit lokaler vorsichtiger Behandlung der Nerven oder Bandscheibe – können helfen, sofern nicht doch eine Bandscheibenoperation notwendig wird. Aber erst einmal sollten alle anderen Möglichkeiten individuell geprüft werden.
Was hilft gegen akute Schmerzen?
In vielen Fällen handelt es sich um Verspannung einzelner Faszien oder Muskeln. Bewegung, Massagen, lokale Kältekompressen oder eine heiße Dusche helfen häufig. Leichte Schmerzmittel wie Weidenrinde oder Ibuprofen in niedriger Dosierung können sinnvoll sein, weil sie helfen, weiter beweglich zu bleiben. Länger als einige Tage sollte man solche Medikamente aber nicht einnehmen.
Wer länger Schmerzen hat, nimmt eine Schonhaltung ein, was wiederum zu einer Zunahme der Verspannung führt. Die Medikamenteneinnahme sollen Sie mit Ihrem Arzt besprechen, nicht zuletzt, wenn Sie Diabetes haben. Sofortige ärztliche Hilfe benötigt man, wenn Körperhaltung oder Bewegungen nichts am Grad oder an der Lokalisation der Schmerzen ändern oder diese stärker werden. Auch akute Muskelschwäche, Verdauungsprobleme, Störungen beim Wasserlassen und Fieber sowie ein Taubheitsgefühl sollten Sie sofort abklären lassen.
Bei chronischen Rückenschmerzen ist aufgrund der vielfältigen möglichen Ursachen eine Analyse durch ein interdisziplinäres Ärzteteam sehr wichtig. Je nach Diagnose ergibt sich dann ein individueller Therapieansatz. Die Operation steht ganz am Ende, Notfallsituationen natürlich ausgenommen.
Über Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer
Dietrich Grönemeyer wurde 1952 in Clausthal-Zellerfeld geboren und wuchs in Bochum auf. Er ist praktizierender Arzt, Vater der „MikroTherapie“, Verfasser zahlreicher Bestseller und bekannt auch aus seiner ZDF-Fernsehsendung „Leben ist mehr“.
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