Egoismus scheint gesellschaftsfähig geworden zu sein. Glaubt man einigen selbsternannten Experten, dann ist Egoismus der beste und schnellste Weg zu einem glücklichen Leben. Aber ist das wirklich so? Kann der Mensch als soziales Wesen dauerhaft glücklich werden, wenn er immer nur zuerst an sich selbst denkt und stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist?
Erfolgscoaches predigen Eigenliebe
„Egoismus ist ein Schlüssel zum Glück. Vielleicht sogar DER Schlüssel zum Glück“, schreibt der „Erfolgscoach“ Michael Leister auf seiner Webseite dein-fussabdruck.de. Keine Einzelmeinung. Im Internet gibt es unzählige solcher und ähnlicher Headlines. „Ein Hoch auf das Ego: Wie gesunder Egoismus das Leben glücklicher macht“, schlagzeilt etwa das Online-Magazin Esquire.de, und die Internetseite Entwicklungsethnologie.org benennt gleich „7 Gründe, warum Egoismus der Schlüssel zum Glück ist“.
Träume und Ziele im Blick
Für die Egoismus-Apologeten kommt immer das ICH zuerst. So lautet etwa die Empfehlung des Esquire an seine Leser: „Denken Sie daran: Wenn sich jemand erstmal selbst um das eigene Glück kümmert, dann kommt das Glück der anderen automatisch.“ Eine gewagte These, die in dem Artikel argumentativ nicht untermauert wird. Und ein weiterer Rat des Esquire lautet: „Fokussieren Sie Ihre Gedanken lieber auf das, was wirklich zählt: Ihre Träume und Ziele.“ Mit anderen Worten: Die Träume und Ziele der Anderen zählen nicht „wirklich“, also braucht man sich darum auch nicht zu kümmern.
Soziales Verhalten statt Egoismus
Sind Egoisten die glücklicheren Menschen? Was sagt die Wissenschaft zu diesem Thema? Die Psychologin Dr. Katharina Tempel betreibt die Internetseite „gluecksdetektiv.de“ und sagt: „Glückliche Menschen sind eindeutig keine egoistischen Menschen. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche Studien, die Zusammenhänge zwischen sozialen Verhaltensweisen und Glück aufzeigen.“ Die Wissenschaft habe klar gezeigt, „dass nicht solche Menschen am glücklichsten sind, die beruflichen oder materiellen Erfolg, also egoistische Ziele anstreben – sondern diejenigen, deren Ziele mit persönlichem Wachstum, zwischenmenschlichen Beziehungen und Beiträgen zur Gesellschaft einhergehen.“
Selbstloses Handeln macht zufrieden
Tatsächlich hat der Egoist sogar weniger Aussichten auf ein dauerhaft glückliches Leben als der Nicht-Egoist. Wissenschaft liche Studien haben bestätigt: Wer immer nur an sich denkt und auf Kosten anderer lebt, hat schlechtere Chancen auf Zufriedenheit. Dagegen führen selbstloses Handeln wie Ehrenämter und freiwilliges Engagement zu mehr Wohlergehen. „Je mehr ein Mensch für andere tut, desto besser geht es ihm“, sagt der Philosoph Prof. Dr. Kurt-Otto Bayertz von der Universität Münster und bezieht sich dabei unter anderem auf eine Langzeituntersuchung deutscher Psychologen, die zwischen 1985 und 1999 insgesamt 22.000 Menschen nach ihrer Lebenszufriedenheit und ehrenamtlichen Tätigkeiten befragt hatten.
Soziale Gesundheit
Der Mensch ist ein soziales Wesen und die Glückforschung hat in zahllosen Studien unzweifelhaft belegt, wie wichtig das Eingebundensein in eine soziale Gemeinschaft (Familie, Freundeskreis etc.) für das Glück des Einzelnen ist. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von der „sozialen Gesundheit“ (neben der physischen und der psychischen Gesundheit). Untersuchungen (u.a. auch die letzten World-Happiness-Reports) zeigen, dass Menschen mit starken sozialen Bindungen nicht nur glücklicher sind, sondern auch eine höhere Lebenserwartung haben. Beispiel Freundschaft en: Wissenschaft ler haben immer wieder herausgefunden, dass Freundschaft en nicht nur unser Glück steigern, sondern auch zu einer erfüllten Lebensführung beitragen.
Egoismus macht einsam
Wie grundlegend die Verbundenheit mit anderen Menschen für das eigene Wohlergehen ist, zeigt sich vor allem dann, wenn es an ihr fehlt. Stichwort: Einsamkeit. „Einsame Menschen sind nicht glücklich und erleben weniger Lebensqualität“, sagt Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Sonia Lippke von der Jacobs- Universität Bremen. Egoisten aber sind in der Regel einsam, es sei denn, sie kaufen sich Gesellschaft . Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wer glücklich werden will, kommt an dem Anderen, seinem Mitmenschen, nicht vorbei. Wie wichtig die Menschen um einen herum für das eigene Lebensglück sind, für diese Erkenntnis braucht man eigentlich gar nicht die Wissenschaft . „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteiltes Glück ist doppeltes Glück“, weiß der Volksmund, und wohl jeder hat in seinem Leben schon häufi g erfahren, wie richtig dieser Satz ist. Oder um mit Albert Schweitzer zu reden: „Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt.“
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