Samstag, 20. April

Neues aus der Wissenschaft

Entzündete Nieren: Frühwarnzeichen für schwere COVID-19-Verläufe

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Ein einfacher Urintest – er soll schon frühzeitig Alarm schlagen, wenn ein schwerer Verlauf einer COVID-19-Erkrankung bevorsteht: Ein Expertenteam der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) hat einen Handlungspfad zur Vorhersage von Erkrankungsschwere und Organkomplikationen entwickelt. Mit wenigen Parametern kann so, noch Tage, bevor Lunge und andere Organe schwer versagen, mit der Behandlung drohender Komplikationen begonnen werden. Damit ließen sich bei vielen Erkrankten, so die Forscher, lebensbedrohliche Verschlechterungen und Todesfälle verhindern.

Am Anfang steht der Urintest

Der Handlungspfad der UMG beginnt mit einer einfachen Urinuntersuchung. Daher halten die Autoren das Vorgehen auch für COVID-19 Patientengruppen in Pflegeheimen geeignet und für Betroffene, die nach Diagnosestellung zunächst ambulant zu Hause behandelt werden. Hier könnte der Urinbefund als Frühwarnzeichen dafür dienen, dass eine Verschlechterung des Zustandes droht. So könnte zeitig eine ambulante Maßnahme früher einsetzen und weiteren Schaden und vielleicht einen Krankenhausaufenthalt verhindern.

Bei COVID-19 sind die Nieren früh betroffen

Bei der stationären Behandlung von COVID-19-Infektionen war dem UMG-Expertenteam aufgefallen, dass gerade bei den Schwerstkranken – neben Lunge und Herz – schon frühzeitig die Nieren mit betroffen sind. Daraufhin hatten die Ärzte der UMG begonnen, ihre Befunde mit Experten aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und anderen deutschen Universitätskliniken zu evaluieren und zu diskutieren und sich mit Fachleuten aus Italien, China, England und den USA auszutauschen. Aktuelle Gewebsuntersuchungen an Verstorbenen unterstützen die Vermutung, dass aufgrund der Dramatik der Erkrankung der anderen Organe die frühe Nierenbeteiligung bisher vernachlässigt wurde.

Risikoeinstufung von Patienten

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Wenn im Urin der Verdacht auf eine COVID-19 assoziierte Entzündung der Nieren (Nephritis) besteht, folgt im Handlungspfad der UMG die Bestimmung von nur drei weiteren einfachen Parametern: Albumin im Blut, Albumin im Urin und Antithrombin III. Albumin ist ein Protein, das zur Gruppe der Plasmaproteine gehört. Antithrombin ist ein Protein, das hemmend auf die Blutgerinnung wirkt. Diese drei Parameter dienen zusammen mit dem Urinbefund dazu, das so genannte „capillary leak Syndrom“ zu diagnostizieren: Dies bedeutet einen lebensbedrohlichen Verlust von Blutbestandteilen und Eiweiß aus dem Blut in das (Lungen-)Gewebe durch ein vom Virus ausgelöstes generelles Leck der kleinen Blutgefäße. Anhand der drei Parameter erfolgt die Risikoeinstufung der Patienten. „Ist auch nur einer von drei Parametern schwer verändert, besteht ein hohes Risiko, dass sich die Erkrankten auf Normalstation zeitnah verschlechtern, auf die Intensivstation verlegt werden müssen oder sich der Verlauf auf Intensivstation noch verschlechtert“, sagt der Erst-Autor der Publikation, Prof. Dr. Oliver Gross, Oberarzt in der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der UMG.

Untersuchung des entwickelten Handlungspfads

Ob und wie sehr der vorgeschlagene Handlungspfad zur Vorhersage von Erkrankungsschwere und Organkomplikationen bei COVID-19 zu einer Verbesserung der Krankenversorgung beitragen kann, wird seit dem 24. April 2020 im Rahmen einer großen, nicht-interventionellen Beobachtungsstudie mit dem Titel „Covid-19 assoziierte Nephritis als Prädiktor für die Erkrankungsschwere und Komplikationen“ unter Beteiligung mehrerer Universitätskliniken in Deutschland untersucht.

Befunde wichtig für die Früherkennung und präventive Therapien

„Wenn sich die Befunde des Ärzteteams der UMG bestätigen, hätte dies einen nachhaltigen Effekt. So könnte künftig bereits im Vorfeld die Notwendigkeit einer kommenden Behandlung auf Intensivstation vorhergesagt werden“, sagt die Senior-Autorin der Publikation, Prof. Dr. Simone Scheithauer, Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie der UMG. „Zudem könnten Patienten früher und zutreffender für spezielle Therapien zugeordnet werden (auch bei Medikamentenstudien). Durch das frühe Erkennen des capillary-leak Syndroms könnten symptomatische präventive Therapien eingeleitet werden und so vielleicht sogar lebensbedrohliche Verläufe verhindert werden“, so Prof. Scheithauer.

Die Erkenntnisse der UMG-Wissenschaftler wurden in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht.

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