Donnerstag, 21. November

Neues aus der Wissenschaft

Impfstoff-Entwicklung: Warum geht das nicht mal eben so?

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Ein Leben wie vor Corona? Zumindest für den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz wird es erst eine Normalität wie vor der Krise geben, wenn es eine Impfung oder zumindest ein gutes Medikament gegen die Viren gibt. Die Aussagen, wann es soweit ist, variieren stark – von noch 2020 über 2021 bis hin zu 2022. „Die Impfstoffentwicklung ist ein langwieriger Prozess, denn Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs haben oberste Priorität“, erklärt das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (PEI).

Rotaviren-Impfstoff-Entwicklung dauerte 15 Jahre

Wenn wir (prophylaktisch) geimpft werden, sollen die Impfstoffe das Immunsystem zum Schutz vor Infektionskrankheiten aktivieren – und eine Ausbreitung vermeiden. Doch bis es soweit ist, können manchmal bis zu 20 Jahre vergehen: Forschung, Entwicklung, klinische Tests. „Während die frühere Entwicklung von gängigen pädiatrischen Kombinationsimpfstoffe nur zehn bis zwölf Jahre in Anspruch genommen hat, dauerte die Entwicklung der Impfungen gegen HPV und Rotaviren jeweils circa 15 Jahre, jener gegen Varizellen sowie der Influenza-Lebendimpfung 25 bis 30 Jahre“, schreiben die Impfstoff-Experten Ursula Wiedermann, Otfried Kistner und Barbara Tucek in der Ärztezeitung. Deshalb kommen Impfstoffe bei einem akuten Ausbruch praktisch immer zu spät.

Nur wenige Impfstoffe kommen bis zur klinischen Studie

Einen Impfstoff bis zur Zulassung zu bekommen, ist langwierig. Denn schließlich muss das Arzneimittel nicht nur wirken, sondern auch sicher sein. Die Experten wissen aus ihrer Erfahrung: Entwickeln die Forscher anfangs 10.000 Substanzen im Labor, gelangen aufgrund der hohen Anforderungen an die Qualität nur etwa 250 davon in die präklinische Phase. Und vielleicht schaffen es davon fünf in die klinische Entwicklung. Aber auch dieser Schritt bedeutet letztlich nicht, dass der Impfstoff zugelassen wird. Das Ganze kann dann auch schnell bis zu einer Milliarde Euro kosten.

Die einzelnen Phasen der Impfstoff-Entwicklung

Im Grunde durchläuft ein Impfstoff von der Entwicklung bis zur Zulassung sechs Phasen.

  1. Phase: Reagenzglas und Computer: Die Forscher identifizieren und charakterisieren zunächst einmal den Erreger und seine Bestandteile. Das bedeutet auch, dass sie eine Analyse machen, um die Antigene zu identifizieren, die eine schützende Immunantwort hervorrufen können. Anschließend geht es darum, festzulegen, welche Art von Impfstoff zum Einsatz kommen soll.
  2. Phase: Wirkt der Impfstoff? Tierversuche: Dafür werden die Labortiere infiziert. So kann nicht nur getestet werden, ob der Impfstoff wirkt. Die Phase ist deshalb auch so wichtig, um herauszufinden, ob nicht eine paradoxe Reaktion ausgelöst wird. Das bedeutet: Das Arzneimittel schützt nicht, sondern verschlimmert den Verlauf einer Krankheit.
  3. Phase: Ist der Impfstoff sicher? Klinische Studie, Phase I: Bevor der Impfstoff an Menschen getestet werden darf, muss die Behörde, in Deutschland ist dafür das Paul-Ehrlich-Institut zuständig, ihn genehmigen. Die erste klinische Prüfung soll mögliche Sicherheitsrisiken offenlegen. Dazu erhalten 20 bis 80 gesunde Freiwillige das Arzneimittel in unterschiedlichen Dosen, um mögliche kurzfristige Nebenwirkungen aufzudecken.
  4. und 5. Phase: Wirkt der Impfstoff, wie er soll? Klinische Studien, Phase II und III: Das sind die entscheidenden Momente der Entwicklung. Denn der Impfstoff wird manchmal gar tausenden Studien-Teilnehmern verabreicht, die sich mit dem Erreger infiziert haben könnten. Dabei wird nach einiger Zeit verglichen, ob es zwischen der Impfgruppe und einer Kontrollgruppe einen Unterschied gibt, was die Infektionsrate angeht. An dieser Stelle scheitern häufig Impfstoffkandidaten. Die fortgeschrittenen Studien liefern auch Hinweise auf Impfschemata, Dosierungen, ob Männer und Frauen unterschiedlich reagieren und das Alter eine Rolle spielt. 6. Phase: Handelt es sich um verlässliche Daten? Die Zulassung: Wenn alle erhobenen Daten vorliegen und die Tests abgeschlossen sind, beantragen die Unternehmen die Zulassung bei der Behörde. Wird sie erteilt, geht es schließlich um die Frage der Herstellung des Impfstoffes: Wie viel lässt sich zu welchem Preis produzieren?

Einige Besonderheiten bei der Impfstoff-Entwicklung gegen COVID-19

Bei der Impfstoffentwicklung gegen das Coronavirus SARS-CoV2 läuft vieles anders als sonst. Momentan werden von 115 Impfstoff-Kandidaten 78 Stück weiterentwickelt. Die Daten hat die Zeitschrift „nature reviews drug discovery“ erhoben. Weit über 50 Unternehmen, Universitäten und Institute arbeiten an einem COVID-19-Impfstoff. Ihr Vorteil war: Die genetische Sequenz von SARS-CoV-2 lag schnell vor, genau wie die Daten zu den nah verwandten Viren SARS und MERS. Dadurch ist eine schnelle Konstruktion des Impfstoffes möglich.

Die Versuchstiere: Das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiermedizin fand in einer Studie heraus – Schweine und Hühner reagieren kaum auf das neue Virus. Flughunde und Frettchen, sie gelten als empfänglich für Atemwegsinfektionen, ließen sich dagegen gut infizieren, Mäuse hingegen nicht. Denn deren ACE2-Eiweiß auf den Lungenzellen sieht an einer entscheidenden Stelle anders aus. ACE2 stellt sozusagen die Eintrittspforte für das neue Coronavirus dar. Das Virus kommt wohl mit der Atemluft in die Lunge der Nager, aber es findet keine Möglichkeit, sich dort festzusetzen. Somit muss die Wissenschaft gerade recht kreative Lösungen finden, um genügend Versuchstiere zu haben.

Eine Zulassung wird länger dauern, aber: Einige Experten gehen davon aus, dass ein Impfstoff Mitte bis Ende 2021 erstmals großflächig zum Einsatz kommt – in Form von Phase-III-Studien. Wobei die Angaben dazu, wie schon gesagt, sehr stark schwankend sind. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht auf jeden Fall von 18 Monaten aus.

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Die Impfstoffsuche könnte sich allerdings auch verzögern. Denn laut renommierten Virologen tritt bei Coronaviren ein seltenes Phänomen auf – sie besitzen sogenannte infektionsverstärkende Antikörper. Die Folge: Wenn sich jemand zum zweiten Mal mit dem gleichen oder einem ähnlichen Subtyp des Virus infiziert, kann es zu einem schweren Krankheitsverlauf kommen. „Das ADE-Phänomen ist uns von anderen Impfstoffen bekannt“, sagte Prof. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), bei einem Webinar des Science Media Centers, auf das das Ärzteblatt Bezug nahm. In Bezug auf SARS-CoV-2 erachte er dies als „theoretisches Risiko“; aber es gebe Labortests, mit denen dieses Risiko betrachtet werden könne – eine Anforderung, die man den Pharmafirmen gestellt hätte. „Das ADE-Phänomen lässt sich aber beeinflussen, indem man die Konformation des Antigens für den Impfstoff verändert, sodass bevorzugt neutralisierende Antikörper erzeugt werden und vielleicht auch eine gute zelluläre Immunantwort induziert wird.“

Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 lassen sich im Grunde in drei Gruppen unterteilen: 1. Impfstoffe auf Vireneiweiß, 2. Impfstoffe mit Vektorviren, 3. Impfstoffe aus Erbsubstanz.

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